27. Januar 2012 - Geschichtsverein Grevenbroich auf den Spuren der Deportationszüge im Lager Westerbork

Zum Holocaustgedenktag besuchte der Geschichtsverein Grevenbroich unter Führung von Ulrich Herlitz das niederländische Durchgangslager Westerbork, von dem aus auch Hertha Aussen mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert wurde.

Dabei konnte die Gruppe nicht nur einen Film über Hertha Aussen und ihren Aufenthalt im Lager Westerbork sehen, sondern auch die Originalbriefe von Hertha Aussen an ihre Freundin Netty Hietkamp in Augenschein in Augenschein nehmen.

Ein denkwürdiger Tag, so Dr. Friedrich Schmitz, Vorsitzender des Geschichtsvereins! 

Lesen Sie mehr hierzu in den Ausgaben der NGZ und des Erftkuriers vom 1 Februar 2012.

16./17. März 2011 - der Zug der Erinnerung kam nach Grevenbroicn!

Die Ausstellung beschäftigt sich mit den über eine Million durch die SS, das Reichsverkehrsministerium und die deutsche Reichsbahn verschleppten Kindern und Jugendlichen. Statt entsetzlicher Bilder zeigt die Ausstellung Andenken, die aus Familienalben stammen könnten.

An zentraler Stelle in der Ausstellung wird auch der Brief von Hertha Aussen vorgestellt, den sie an eine christlliche Freundin noch im Zug nach Auschwitz geschrieben hat. Ihre Familie stammte aus Hemmerden und lebte lange Jahre hier, bevor sie in die Niederlanden emigrierte und von dort aus deportiert wurden.

Und das Schicksal und die Ermordung von Hertha Aussen und ihrer Familie war kein Einzelfall in Grevenbroich. Neben den Geschwister Aussen sind alleine achtzehn Kinder aus dem heutigen Stadtgebiet Grevenbroichs, die entweder in Grevenbroich geboren oder zeitweise hier gelebt haben, deportiert worden. Davon überlebt haben nur zwei, ihrer Jugend beraubt, mit den Erfahrungen von KZ und Lageraufenthalten und  der Ermordung ihrer Eltern und vieler weiterer Familienangehöriger beladen!

In einem erweiterten Ausstellungsbereich werden mehrere Täter der unterschiedlichen Funktionsebenen vorgestellt, die für den Transport der todgeweihten Kinder und Jugendlichen in die Vernichtungslager sorgten.

Der Zug der Erinnerung kam in den Rhein-Kreis Neuss und machte am 16. und 17. März 2011 auch Station in Grevenbroich. Maßgeblich hierfür hatte sich die Kirche im Bistum Aachen und hier Regionaldekan Ulrich Clancett aus Jüchen stark gemacht; der Rhein-Kreis Neuss hatte ebenfalls seine Unterstützung zugesagt. Als die Bahn einen Halt nur an einem Abstellgleis in eingezäuntem Gelände auf der Rückseite des Bahnhofs möglich machte, errichtete die Stadt mit Hilfe der WGV und dem Unternehmen Pick Bauprojekte einen provisorischen Zugang. das GWG stelllte den Stromzugang, den die Bahn nicht ermöglichte.

Die ungefähren Kosten für einen Standtag des Zuges beliefen sich auf ca. 4000,- € einschließlich der pädagogischen Begleitung. Für den zweitägigen Aufenthalt in Grevenbroich un den zweitägigen Aufenthalt in Neuss mussten 17.120,- € bezahlt werden. Zahlreiche Spenden in Höhe von 14.035,- € sind zugsammengekommen, der Rest von 3085,- € ist durch die Kirche im Bistum Aachen aufgebracht worden. Allen Spendern und Beteiligten ein herzliches DANKESCHÖN! 

Mehr Infos zum Zug der Erinnerung im Rhein-Kreis Neuss gibt es hier... und der aktuelle Flyer für den Rhein-Kreis Neuss zum Download hier...

Rheinische Post/Neuß-Grevenbroicher Zeitung 15. Januar 2011 – Daniela Buschkamp

Spuren jüdischer Schicksale

Grevenbroich (NGZ) Hertha Aussem aus Grevenbroich war eine jüdische Jugendliche, die im KZ umkam. Ihr Schicksal wird im "Zug der Erinnerung" gezeigt, der im März in Grevenbroich und Neuss hält. Der Geschichtsverein stellt neue Ergebnisse vor.

Es war eine Fahrt in den Tod: 1,5 Millionen jüdische Kinder und Jugendliche wurden von den Nationalsozialisten deportiert und vergast. Etwa 13 Opfer stammen aus Grevenbroich, so die aktuellen Forschungsergebnisse des Arbeitskreises Judentum. Das Schicksal von Hertha Aussem (17) aus Hemmerden ist durch den "Zug der Erinnerung" bekanntgeworden. Eine kurze Biografie, ein Familienfoto von einem Bootsausflug, die letzte Karte an ihre christliche Freundin Netty, die Hertha aus dem Zug werfen konnte, sind in der Ausstellung zu sehen: Mitte März an zwei Tagen in Grevenbroich, und an zwei Tagen in Neuss.
"Den Opfern und den Kindern ein Gesicht geben" – das waren die Motive von Ulrich Clancett, Regionaldekan für Mönchengladbach aus Jüchen, sich für das Projekt "Zug der Erinnerung" und Haltestellen im Rhein-Kreis Neuss stark zu machen. Was ihm und anderen Unterstützern gelungen ist: Nach dem Start am 10. März in Mönchengladbach hält der Zug am 16./17. März in Grevenbroich und am 18./19. März in Neuss. Etwa 4000 Euro kostet ein Tag Aufenthalt der Ausstellung. "Ende 2010 waren die Ausgaben zur Hälfte von einem Aktionsbündnis aus Kirchen, Parteien und Institutionen finanziert", so Martin Kresse vom Katholikenrat.
Warum die Präsentation wichtig ist: "Sie hilft eine Erinnerungskultur lebendig zu halten, denn es gibt immer weniger Zeitzeugen", betont Kresse. Deshalb sind Schulen und Jugendverbände zum kostenfreien Besuch eingeladen.
Dort werden die Schüler Hertha Aussem begegnen können, die hoffnungsvoll an "ihr liebstes Nettchen" schrieb: "Wir sind voll guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in unserem geliebten, kleinen Holland. Leb wohl, ein Kuss. Hertha". Eine unerfüllte Hoffnung, denn Hertha – wie auch ihre ältere Schwester Anna und ihr Vater Jakob – wurden direkt nach ihrer Ankunft am 17. September 1943 in Auschwitz umgebracht.
Das Schicksal der Familie Aussem, die von Hemmerden nach Holland flüchtete, ist bekannt. Das Schicksal von anderen jüdischen Kindern und Jugendlichen weniger. Das will der Arbeitskreis Judentum um Ulrich Herlitz ändern. "Wir bereiten eine Ausstellung und ein Rahmenprogramm vor", erläutert Herlitz. Ihre Forschungen in historischen Quellen beantworten etwa Fragen nach Margot (sie war 1943 16 Jahre alt) und Ernst Heinemann (damals zwölf), deren Vater ein Textilwarengeschäft auf der Breite Straße betrieb. Oder nach Hannelore Rübeck, die kurz nach ihrem fünften Geburtstag mit ihrer Mutter Sabine von Hemmerden nach Riga verschleppt wurde.

Den Artikel zum Download gibt es hier...


 „Wir sind voll Hoffung auf ein baldiges Wiedersehen...“

Der Abschiedsbrief von Hertha Aussen im „Zug der Erinnerung“

 14. März 2008. Kölner Hauptbahnhof. Blickfang des Zuges ist eine ständig unter Dampf
stehende Dampflok aus dem Jahr 1919. Viele Menschen auf dem Kölner Hauptbahnhof bewundern zunächst die Lok auf Gleis 1, das auch als direkte Verbindung zwischen Domplatte und Hauptbahnhof von vielen Menschen genutzt wird. Vor dem Zug mit drei Anhängern haben sich lange Warteschlangen gebildet. Der Zug trägt die Aufschrift „Zug der Erinnerung“. Vielen Besuchern des Gleises 1 wird erst jetzt klar, dass sich in den Waggons die Ausstellung befindet, die das Schicksal deportierter Kinder nach Auschwitz thematisiert und durch ganz Deutschland Halt in Bahnhöfen macht, bevor der Zug am 8. Mai 2008 sein endgültiges Ziel Auschwitz ansteuern wird. Und er bereitet viel Ärger. Denn die Deutsche Bahn AG stellt für diesen Zug, der deutschlandweit von vielen Bürgerinitiativen finanziert wird, pro gefahrenen Kilometer, pro Aufenthaltsstunde in den Bahnhöfen ebenso wie für die Bereitstellung von elektrischem Licht „aus Gleichbehandlungsgründen“ – denn sonst könnten ja viele Bürgerinitiativen kommen- eine Rechnung und ignoriert selbst einen Appell des Verkehrsausschusses des Bundestages, eine Summe in Höhe des Rechnungsbetrages wenigstens zu spenden. Ein Skandal, der bei den Initiatoren, den nunmehr über 140.000 Besuchern des Zuges, vor allem aber bei jüdischen Überlebenden und den jüdischen Gemeinschaften in Deutschland zu heftigen emotionalen Reaktionen, wie am vorvergangenen Wochenende in Düsseldorf sogar zu Entgleisungen gegen den Bahnchef Hartmut Mehdorn führte. Denn die Deutsche Reichsbahn war in der NS-Zeit ein entscheidender Bestandteil der Vernichtungsmaschinerie und verdiente darüber hinaus auch noch an den Deportationen. 4 Pfennige pro Streckenkilometer für Erwachsene, 2 Pfennige pro Kind, gewährte allerdings einen Mengenrabatt für Züge ab 400 Personen.

Im „Zug der Erinnerung“ ist auch ein Abschiedsbrief von Hertha Aussen zu sehen, den sie am 17. September 1943 aus einem Deportationszug nach Auschwitz geworfen hat. Wer war das damals erst siebzehnjährige Mädchen Hertha Aussen. 

1923 heirateten ihre Eltern Jacob Aussen und Klara Winter in Hemmerden. Er war Holländer, sein Burder Moses Aussen betrieb in Hemmerden eine Metzgerei, sie war Deutsche und sein Bruder Karl Winter führte in Hemmerden das traditionsreiche und seit mehreren Generationen geführte Maßschneiderei- und Konfektionsgeschäft „Lazarus Winter & Söhne“ fort.

Das junge Ehepaar verzog nach Holland in das nahe der deutsch-niederländischen Grenze gelegene Dorf Wijhe, wo die beiden Töchter Anna Sophia am 25. Mai 1924 und Hertha 24. Mai 1926 geboren wurden. Kurze Zeit später verbrachten sie noch zwei Jahre in Hemmerden, bevor sie sich endgültig in Wijhe niederließen und dort schnell heimisch wurden.

Jakob Aussen arbeitete dort erfolgreich als Schmied und bald nahm Klara Aussen die niederländische Staatsbürgerschaft an. Im Jahr 1935 verzog auch Moses Aussen, dessen Ehefrau Lina ebenfalls der Familie Winter entstammte, mit seiner Familie ebenfalls in das deutsch-niederländische Grenzgebiet nach Zelhem, das einerseits Sicherheit, andererseits Nähe zur in Hemmerden verbliebenen Familie bot.

Die Aussen gehörten der Synagogengemeinde in Deventer an, wo auch die beiden Schwestern Annie und Hertha die Schule besuchten. Annie lernte anschließend in einer Druckerei und Buchhandlung, während Hertha dort im April 1940 die Haushaltsschule besuchte.

Doch mit der Besetzung der Niederlanden im Mai 1940 geriet auch die Familie Aussen in die Fänge der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik. Nachdem die Juden im Januar 1941 reichsweit registriert, Hertha die Schule im September verlassen, alle Radioapparate und Fahrräder abgegeben werden mussten, erging im Mai 1942 die Anordnung, dass alle Juden einen Judenstern tragen mussten. Auch aus Deutschland mehrten sich die Schreckensmeldungen, das Schicksal der im Dezember 1941 in das Ghetto nach Riga deportierten Familie Winter blieb auch Hertha nicht verborgen, die ihrer Freundin Netty in einem Brief im August 1942 schrieb, dass sie „eine eklige Nachricht nach der anderen“ aus Deutschland erhielt und eine Nichte von 20 Jahren „weg“ sei. Hertha schrieb ihrer Freundin, dass ihr wohl in nächster Zukunft ein ähnliches Schicksal drohe.

In der Nacht des 2. Oktobers 1942 wurde die gesamte Familie im Rahmen einer Razzia in das „Polizeiliche Durchgangslager“ nach Westerbrok verbracht. Die Zahl der Lagerinsassen wuchs über Nacht von 2.000 auf etwa 13.000. Wurden die Insasssen zunächst als Arbeitssklaven missbraucht, verließen zwischen Juli 1943 und September 1944 insgesamt 93 Züge das Lager Westerbork mit insgesamt 100.000 niederländischen Juden. Ziel waren die Vernichtungslager des Ostens. Am 14. September 1943 befand sich in einem der Züge nach Auschwitz auch die Familie Aussen.

Noch aus dem Zug konnte Hertha Aussen ihrer Freundin Netty einen letzten Brief schreiben: „Mein liebes Nettchen, die letzte Abschiedskarte bekommst Du aus dem Zug. Wie du sehen kannst. Wir sitzen hier mit vierzig Menschen und Gepäck und es ist sehr stickig in dem Viehwaggon. Wir sind voll guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in unserem geliebten, kleinen Holland. Leb wohl, ein Kuss. Hertha“.

Es war das letzte Lebenszeichen der Familie Aussen. Jacob Aussen ist mit seinen beiden Töchtern Annie und Hertha unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz am 17. September 1943 vergast worden, die Mutter Klara überlebte Auschwitz, starb jedoch noch nach der Befreiung im Januar am 3. März 1945.

Neben Hertha Winter sind auch andere Kinder aus Grevenbroich mit Zügen der Reichsbahn deportiert worden. So zum Beispiel die sechsjährige Hannelore Rübsteck aus Hemmerden oder die nicht einmal zwei Jahre alte Recha Katz aus Wevelinghoven, die wie die Familie Winter im Deportationszug nach Riga für die Fahrt in ihre Vernichtung eine Bahnfahrkarte bezahlen mussten. Einfache Fahrt, versteht sich.

In Köln durfte der „Zug der Erinnerung“ trotz des überwältigenden Besucherandrangs von 7000 Besuchern an einem Wochenende nicht länger stehen bleiben. Die Deutsche Bahn hatte keine Standzeiten mehr zur Verfügung, genauso wie jetzt in Hamburg – dort stehen nach Angaben der Bahn aus „bahnbetrieblichen Gründen“ überhaupt keine Standzeiten im Hauptbahnhof oder einem der zahlreichen anderen Personenbahnhöfen der Elbmetropole zur Verfügung. Nur auf einem Abstellgleis in Hamburg-Altona für fünf Stunden. Die Rechnung der Deutschen Bahn für den „Zug der Erinnerung“ beläuft sich mittlerweile auf über 100.000 EURO. Ein Skandal!

Ulrich Herlitz, März 2008